Schrammelmusik oder Die Schrammeln.
Was versteht man heute darunter?
Die bis vor nicht all zu langer Zeit häufigste Antwort darauf wäre sicherlich gewesen: „Musikanten, die bei einem Wiener Heurigen von Tisch zu Tisch gehen und dort mit Hilfe der Darbietung von Wunschmelodien die Gäste unterhalten.“
Doch hätten vor rund 120 Jahren die Brüder Schrammel auf diese Weise in ihrer nur siebenjährigen Wirkungszeit zu einer derartigen Berühmtheit gelangen können, dass sie zu Namensgebern typischer Wiener Volksmusik wurden und von Zeitgenossen wie Brahms oder Strauß überaus hoch geschätzt wurden?
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Die Brüder Schrammel, Johann (1850 – 1893) und Josef (1852 – 1895), wuchsen in der regen Volksmusikszene des damaligen Wiener Vergnügungsortes Neulerchenfeld auf. Ihre Eltern waren beide hauptberuflich Volksmusikanten. Der Vater, Kaspar Schrammel, war Klarinettist und stammte aus dem Waldviertler Ort Litschau. Als herumziehender Musiker traf er in Wien auf Aloisia Ernst, eine stadtbekannte Volkssängerin, seine spätere Frau und Mutter der Brüder Schrammel. Sehr früh erkannte Kaspar Schrammel die hohe musikalische Begabung seiner beiden Söhne und schickte sie trotz finanzieller Entbehrungen – was für einen damaligen Volksmusiker eine Ungeheuerlichkeit war – aufs Wiener Konservatorium. Sie erhielten beide Violinunterricht und spielten anschließend in Wiener Salon- und Theaterorchestern und als Volksmusiker in Gaststätten und Heurigenlokalen. 1878/79 gründeten sie mit dem damals besten Kontragitarristen Anton Strohmayer ein Terzett. Zunächst hießen sie „D´Nussdorfer“, da sie hauptsächlich in dem berühmten Weinort Nussdorf auftraten. Durch die Kombination von perfekter Spieltechnik mit im Volkstümlichen wurzelnder Musikalität hatten sie außerordentlich großen Erfolg. 1884 wird das Terzett mit dem damals unbestrittenen Meister des „picksüßen Hölzls“, wie die kleine G-Klarinette liebevoll genannt wurde, Georg Dänzer zum Quartett. Neben den Heurigenauftritten gaben die „Schrammeln“ aber auch rein konzertante Darbietungen und spielten auf fast allen wichtigen Bällen in Wien. Berichterstatter und Kritiker beschrieben die Produktionen der „Schrammeln“ in Superlativen:
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“ … Die Schrammeln haben, ganz abgesehen von ihrer Meisterschaft in der Behandlung der Instrumente, dadurch, dass sie allezeit nur Gutes boten und das Beste bieten wollen, veredelnd auf den Geschmack der großen Menge gewirkt und da sie bestimmend sind für die Menge von Sängern und Dudlern, so mussten auch diese, falls sie in der nutzbringenden Nähe der Schrammeln bleiben wollten, notgedrungen auch Besseres leisten und so hat ganz unbewusst für diejenigen, die mittaten, aber zielbewusst von den Schrammeln inauguriert, das Volksvergnügen bessere, feinere Formen angenommen, es hat sich abgeschliffen und manche Rohheit ist verschwunden, ohne dass die Herzlichkeit, die Gemütlichkeit und die Urwüchsigkeit gelitten hat. – Das ist und bleibt ein Verdienst der „Schrammeln“ und auf die Gefahr hin, dass diese so bescheidenen und braven Leute auf einmal hochmütig werden, muss man es offen sagen, dass der Name dieses Quartetts von heute an in der Geschichte Wiens für alle Zeiten genannt werden wird, wenn man von der Wiener Volksmusik spricht.“ (Wiener „Extrablatt“, 18. Aug. 1886)
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Vor allem Johann Schrammel wurde immer mehr als Komponist zahlreicher Märsche, Walzer und Polkas bekannt und geschätzt. So wirkte er 1885 an einer Ballettproduktion des Wiener Hofoperntheaters über die Geschichte des Wiener Walzers mit und wurde auch für die Betreuung des Musikteils der neu erscheinenden Zeitung „Wiener Spezialitäten“ herangezogen. Das Schrammelquartett wurde in die Salons der Adeligen geladen oder von ihnen in die vornehmsten Lokale zum „Aufspielen“ bestellt. Unter den damaligen Fans waren Fürstin Esterhazy, Erzherzog Johann, Kronprinz Rudolf und Kaiser Franz Joseph I. Ebenso wurden sie von zeitgenössischen Komponisten wie Johann Strauß und Johannes Brahms nicht nur gehört und bewundert, sondern auch anerkannt.
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Ab 1888 gastierten die „Schrammeln“ auch im Ausland und unternahmen einige Tourneereisen in Europa. Zu Hause in Wien setzten sie ihre Auftritte in Nussdorf wieder fort, wobei der Andrang nach ihrer langen Abwesenheit so groß war, dass hunderte Menschen umkehren mussten, weil sie keinen Platz mehr finden konnten. 1891 erkrankte Georg Dänzer und schied deswegen aus dem Quartett der Brüder aus. Das „picksüße Hölzl“ wurde jetzt durch den Ziehharmonikerspieler Anton Ernst (Vetter der Brüder Schrammel) ersetzt. Das spezifische Klangbild des Quartetts erlosch damit, trotzdem hielt die Popularität vorerst ungehindert an. Nachdem Anton Strohmayer aus dem Quartett ausschied und durch Karl Darocker ersetzt wurde, verschlechterte sich gleichzeitig der Gesundheitszustand von Johann Schrammel und damit auch die schöpferische Kraft des Ensembles zusehends. Am 17. Juni 1893 starb Johann Schrammel im Alter von 43 Jahren unter großer Anteilnahme durch die Öffentlichkeit und die Presse. Nach dem Tod seines Bruders setzte Josef Schrammel mit dem Geiger Knoll an seines Bruders statt das Ensemble fort. Er konnte den Erfolg des früheren Quartetts mit Auftritten in Wien und im Rahmen einer Konzertreise noch fortsetzen. Als er am 24. November 1895 starb, war die ruhmreiche Wirkungszeit des Quartetts endgültig zu Ende.
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Das Werk der Brüder Schrammel, von dem die Kompositionen Johanns einen Großteil einnehmen, umfasst mehr als 250 Märsche, alle Arten von Polkas, Walzer, Tänze, Lieder und Couplets.
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Die „Schrammeln“ bildeten am Ausgang des 19. Jhd. den Höhepunkt der volkstümlichen Wiener Musik. Ihre besondere Begabung und meisterhafte Spieltechnik erhoben sie über alle anderen Ensembles der Stadt. Ihre nur siebenjährige Schaffensperiode reichte aus, um den Namen Schrammel zum Begriff einer eigenen Kategorie der volkstümlichen Musik Wiens werden zu lassen. Mit dem Tod der Brüder 1893 und 1895 geriet die besondere Klangfarbe des Quartetts in Vergessenheit. Erst siebzig Jahre danach, 1964, wurden die Autographe wieder entdeckt und werden noch bis heute aufgearbeitet.